Menschen

Vatertag

„Tja, um 5 Uhr rappelt jeden Tag mein Wecker“, erzählte mir Guido, als ich ihn vor ziemlich genau einem Jahr traf, mit einem wehmütigen, aber glücklichen Unterton. Ich überlegte, die Worte „jeden Tag” lösten bei mir kurz ein unbehagliches Gefühl aus, da kam es mir ins Bewusstsein, Guido ist ja Landwirt.

Mit 28 trägt er schon die ganze Verantwortung über 30 Milchkühe, ein paar Schweine und über die wirtschaftlichen Belange des Betriebs, der eingebettet in eine wunderbare Landschaft zwischen Stuttgart und Esslingen am Neckar liegt. Er hat eine liebevolle Frau und zwei Kinder, einen Jungen und ein Mädchen. Zwei Jahre zuvor übernahm er den Bauernhof von seinen Eltern, die gesundheitsbedingt die Arbeit niederlegen mussten. Nur mehr gelegentlich hilft Johannes, Guidos Vater, bei leichten Tätigkeiten mit.

Es war der 16. Mai 2012, als ich die schwäbische Familie besuchte. Ich erinnere mich daran, weil am nächsten Tag Feiertag war, Christi Himmelfahrt, und ich mir paar Tage Entspannung gönnte. Der Termin mit Guido war der Einzige in dieser Woche. Wir saßen auf zwei abgeschnittenen Holzstämmen vor dem Haus, als sein Handy bimmelte. „Einen Moment bitte“, entschuldigte sich Guido bei mir und ging ran. Er schien etwas überrascht über den Anruf. „Hoffentlich nichts Unerfreuliches”, dachte ich bei mir und trank am Bier, das er mir zuvor mit einer ungewöhnlichen Vertrautheit in die Hand gedrückt hatte. Ich hatte ihn ja damals zum ersten Mal gesehen. Guido ist ein lockerer Typ.

Ohne bewusst dem Gespräch zu lauschen, es ging mich ja nichts an, hörte ich durchs Telefon Wortfetzen wie „komm… on…“, und „lass… drauf machen”. Er hörte den Ausführungen, die im Tonfall irgendwie nach Bitten und Betteln klangen, zu, bis er meinte: „Das geht nicht, du weißt ja, ich hab Verpflichtungen. Irgendwann schaffen wir das schon, ich wünsche euch viel Spaß.“ Nachdem er das Handy vom Ohr nahm und ausdrückte, schaute ich ihn an und hob unbewusst die Augenbrauen. Irgendwie interessierte mich doch, wem er da gerade abgesagt hatte. Guido merkte meine Neugier und erzählte mir: „Das war ein Kumpel von früher. Er fragte mich, ob ich morgen mit ,on Tour’ gehe. „Morgen? On Tour?“ stutzte ich. „Ja! Vatertag!”, kam es mit gehobener Stimme. „Ja, genau, morgen ist ja Vatertag“, dachte ich bei mir, ohne es auszusprechen, da ich mich nicht blamieren wollte. Ich komme aus Österreich, da gibt es diesen Brauch nicht. Ich nickte nur. Als meine Gedanken in Richtung wild gewordener, losgelassener Männer schweiften, fuhr Guido fort: „Er fragte mich, ob ich morgen dabei bin. Die wollen mit Bollerwagen und allem Drum und Dran durch die Landschaft ziehen…“. „Und bist du?“, hakte ich ein. Sein Blick schweifte über seinen Betrieb und zwischen Wohnhaus und Stall hindurch, wo man auf der angrenzenden Wiese einen vorbereiteten Mäher erkennen kann. „Hier macht sich nichts von selbst“, fuhr er fort. „Ich bin der Einzige aus unserer alten Clique, der aus der Landwirtschaft kommt. Die haben zwar auch alle schon Familie, aber so eine doppelte Verantwortung hat keiner von denen. Meine alten Kumpels haben alle andere Berufe und morgen frei.” Ich wollte gerade zur Frage, was er dabei empfinde, ansetzen, da befriedigte er meine Neugier von sich aus: „Natürlich würde es mir mal gut tun, nichts zu sehen und zu hören und einfach den Lieben Gott einen guten Mann sein lassen. Aber das geht halt nicht. Ein landwirtschaftlicher Betrieb ist eine Heidenarbeit. Ich habe Verantwortung meiner Familie und dem Betrieb samt Vieh gegenüber.“ Dann stockte er kurz und sagte etwas, das wohl die Motivation aller Jungbauern am besten beschreibt: „Im Gegensatz zu meinen alten Kumpels bin ich ständig in der Natur und muss mich niemanden gegenüber rechtfertigen. Ich muss nur schauen, dass alles läuft. Vor allem gehört alles, für das ich die große Verantwortung trage, mir.“ Nach einer kurzen Gedankenpause fügte er noch hinzu: „Ich hab mehr Arbeit als andere, muss vor allem auch Arbeiten erledigen, wenn die Feiertag haben. Aber – ich bin frei!“

Michi Jo Standl

Ein Gedanke zu „Vatertag

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