Menschen

Schwul auf dem Dorf: In der Norm

Ein Außenminister heiratet einen Mann, die deutsche Hauptstadt wird von einem schwulen Bürgermeister regiert, unter Künstlern ist es längst kein Tabu mehr, aber wie sieht es auf dem Land aus? Darf ein Landwirt, der seinen Betrieb zwischen zwei anderen Betrieben, der Kirche und dem Gasthaus hat, schwul sein, keine Bäuerin haben, die ihm bei der täglichen Arbeit hilft, sondern einen zweiten Bauern? Geht das überhaupt? „Klar geht das!”, ist die Antwort eines modernen, aufgeschlossenen Menschen.

Auch wenn die einzelnen Bewohner, Landwirte und Nicht-Landwirte, modern denken, ein Dorf unterliegt immer noch einer dörflichen Struktur. Diese zeichnet sich vor allem durch nachbarschaftliche Beziehungen und soziale Kontrolle aus, was nichts anderes heißt, als jeder kennt jeden und – jeder redet über jeden. Dieses Diktat hat sich der Mensch selbst auferlegt. „Von der Natur aus gibt es weder Gutes noch Böses. Diesen Unterschied hat die menschliche Meinung gemacht“, meinte der griechische Philosoph Sextus Empiricus lange vor unserer Zeit. In Städten gibt es wohl auch noch immer Getuschel hinter vorgehaltenen Händen, nur Städte bieten durch Masse „Schutz“ für Leute, die so leben wollen, wie es ihnen beliebt.

Auf dem Land stehen Menschen, die außerhalb von althergebrachten und selbst auferlegten Traditionen leben, inzwischen auf: „Ja, wir leben nach unserer Fasson, wir wollen nicht anders leben und wir fühlen uns in der Dorfgemeinschaft wohl. Punkt. Aus.“ Solange man über Homosexualität redet oder schreibt, gehört sie noch nicht zur Norm. Da nehmen wir uns nicht aus, sonst würde dieser Artikel nicht erscheinen. Dank des schnellen und kostengünstigen Mediums „Internet“ haben Menschen, die für die Leute, die sich zur selbst konstruierten Norm zählen, die Möglichkeit, sich für etwas zu rechtfertigen, für das gar kein Rechtfertigungsbedarf besteht.

Es gibt inzwischen einige Internetportale, etablierte und weniger etablierte, in denen sich schwule Landwirte austauschen können. Da fragt man sich, warum müssen sich heterosexuelle Bauern nicht mit Berufskollegen mit derselben sexuellen Ausrichtung austauschen? Ja, die Norm. Eine der führenden Websites in Deutschland ist gayfarmer.de. Das Portal wird von der Berufsvereinigung GayFarmer betrieben, die inzwischen über 400 Mitglieder zählt. Stärke und Präsenz zeigen ist das Motto in allen Ländern. Stärke, welche schwule Bauern eigentlich gar nicht benötigen würden, wenn da nicht schon wieder diese Norm wäre.

Die Menschen auf dem Dorf brauchen das Reden, damit die dörfliche Struktur, zu der ja, wie bereits erwähnt, das Miteinandersprechen gehört, erhalten bleibt. In Städten lebt man anonym und oft sehr einsam. Persönliche Kommunikation ist ein großer Pluspunkt am Landleben und ist normal, so wie schwul sein. Und das ist auch gut so.

Michi Jo Standl

Ein Gedanke zu „Schwul auf dem Dorf: In der Norm

  • Auch die Gesellschaft reift und mit ihr die Dörfer. Wir haben nach 13 Jahren offener schwuler Beziehung auf dem Dorf tolle, offene, tolerante, normale Erfahrungen gemacht. Immer ehrlich in der Offensive und immer mit einem Lächeln. Das entwaffnet auch die Skeptiker im Dorf. Und bei einer Mitgliedschaft im Turnverein oder bei der Feuerwehr oder im Kirchenchor… und die Integration ist ein muss.

    Viele Grüße aus Erbenheim
    Ralf und Michael

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