Links abbiegen – ein unterschätztes Risiko
Landwirte und deren Angestellte sind regelmäßig mit Traktoren im Zug mit Anhänger(n) oder angehängten Arbeitsgeräten unterwegs. Solche oft sehr langen und überbreiten Gespanne zeichnen sich naturgemäß durch ein höheres Betriebsrisiko aus als etwa ein Pkw.
Eben weil solche Traktoren oder Traktorenzüge oft sehr schwer sind, sind sie auch wesentlich langsamer auf den Straßen unterwegs als die anderen Verkehrsteilnehmer. Vor allem in den Frühjahrs- und Sommermonaten reihen sich Autos und Motorräder hinter Traktoren wie auf einer Perlenkette auf, die sich langsam über schmale Landstraßen schlängelt. Hier droht Gefahr.
Da es viele ungeduldige Menschen gibt, versuchen immer wieder einzelne Fahrer die komplette Kolonne zu überholen. Dafür benötigen sie viel Tempo – und genau diese hohen Geschwindigkeiten führen zu schweren Unfällen, wenn der Traktor am Beginn der Kolonne just in diesem Moment nach links, etwa auf ein Feld, einbiegen will. Hier kommen oft viele unglückliche Umstände zusammen: Der Überholende übersieht auf Grund der hohen Geschwindigkeit den Blinker des Schleppers, der Schlepperfahrer übersieht das schnell von hinten aufschließende Fahrzeug. So kommt es immer wieder zu schwersten Unfällen mit oftmals tödlichem Ausgang. Beim Aufprall auf die massiven Schlepper haben PKW-Insassen und Motorradfahrer kaum Chancen.
Natürlich haben solche schweren Unfälle auch immer ein juristisches Nachspiel.
Die Frage »Wer ist hier der Schuldige?« lässt sich nur nach genauer Abwägung aller Umstände des Einzelfalls und nicht generell beantworten. Im Dezember 2000 musste sich beispielsweise das Oberlandesgericht Nürnberg mit einem solchen Fall beschäftigen. Dort kamen die Richter zu folgendem Ergebnis:
»Kommt es auf einer Landstraße zwischen einem nach links in einen für den nachfolgenden Verkehr schwer erkennbaren Feldweg abbiegenden Traktor und einem gleichzeitig überholenden Kraftfahrer zu einer Kollision, rechtfertigt dies eine Haftungsverteilung von 60 zu 40 Prozent zu Lasten des Traktorfahrers, wenn von dem Überholenden nicht bewiesen werden kann, ob der Traktorfahrer vor dem Abbiegen den linken Blinker gesetzt hat.« (Urteil des OLG Nürnberg vom 14.12.2000 2 U 2634/00)
Bei solchen Entscheidungen wird die besonders hohe Betriebsgefahr von landwirtschaftlichen Zugmaschinen – die unter Umständen mit Anbaugeräten bestückt sind – berücksichtigt. Deshalb fällt, wie im obigen Beispiel, das Urteil meist zu Ungunsten des Schlepperfahrers aus. Allerdings gibt es auch Fälle, in denen die Schuld allein den Überholenden trifft. Solch ein Urteil hat das Landgericht Erfurt im November 2006 gefällt:
In diesem Fall wollte ein Traktorfahrer links abbiegen. Hinter ihm hatte sich eine lange Kolonne von ungefähr 20 Fahrzeugen gebildet. Ein Autofahrer hatte die Kolonne auf der Gegenfahrbahn links überholt, an einer Verkehrsinsel vorbei. Auch ein Überholverbots-Schild brachte ihn nicht dazu, wieder in die Kolonne einzuscheren. Als der Traktor hinter der Verkehrsinsel links abbog, stieß der Autofahrer mit dem Traktor zusammen.
Der überholende Autofahrer war davon überzeugt, dass den Traktorfahrer ein Mitverschulden an dem Unfall treffen muss. Die Richter am Landgericht Erfurt sahen das anders: Den Linksabbieger treffe zwar eine besondere Sorgfaltspflicht für den rückwärtigen Verkehr. Um dieser besonderen Sorgfaltspflicht genüge zu tun, habe er eine doppelte Rückschaupflicht (doppelter Schulterblick), und dies auch an solchen Stellen, wo Überholverbot herrscht.
Der doppelte Schulterblick ist aber laut Meinung des Gerichtes dann nicht notwendig, wenn eine Gefährdung des rückwärtigen Verkehrs technisch unmöglich oder das Verhalten des überholenden Unfallgegners besonders verkehrswidrig sei. Die Richter entschieden, dass ein Überholen innerhalb eines Überholverbotes unter gleichzeitiger Umfahrung einer Verkehrsinsel grob verkehrswidrig ist und somit eine Mithaftung des Schlepperfahrers entfällt. (Urteil des Landgerichts Erfurt vom 24. November 2006; Az.: 10 O 1309/05)
Man kann alle Verkehrsteilnehmer nur immer wieder auffordern, solche riskanten Überholmanöver zu unterlassen und die Schlepperfahrer ständig motivieren, lieber zweimal über die linke Schulter zu blicken, bevor man den Traktor auf das Feld steuert.
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