Medien & Marketing

Interview: „Ein zwanzig Jahre alter Trecker hat nichts mit Naturnähe zu tun“

gruuna.com sprach mit Jürgen Paffen, Landwirt und Mitbegründer der Initiative „Heimische Landwirtschaft“, die mit Radiospots und der dazugehörigen Website heimische-landwirtschaft.de den Verbrauchern zeigen möchte, wie Landwirtschaft heute wirklich ist. Über 160 Betriebe, zurzeit noch vorwiegend aus Thüringen, beteiligen sich an der Aktion.

Herr Paffen, wenn man auf die Website heimische-landwirtschaft.de geht, findet man eine schöne, bunte Seite, die an Landluft und Natur erinnert?
Das ist richtig. Landwirtschaft hat immer auch mit Landluft und Natur zu tun. Was wir aber zeigen wollen, ist, dass auch unsere moderne Landwirtschaft umweltverträglich und nachhaltig ist. In der Öffentlichkeit und in den Medien wird dies ja leider ganz anders wahrgenommen.

Um was geht es denn genau?
Sehen Sie, die meisten Menschen sind der Meinung, je kleiner ein landwirtschaftlicher Betrieb ist, desto gesünder sind die Nahrungsmittel, die er produziert und desto besser geht er mit der Umwelt und seinen Tieren um. Das ist aber ein Irrglaube, der von den Medien und in der Werbung ständig aufrechterhalten wird. Wie jemand mit der Umwelt und seinen Tieren umgeht, das ist eine Frage des Charakters und der Technik, die zum Einsatz kommt, und hat nichts mit der Größe eines Betriebes zu tun. In einem größeren Betrieb machen einfach nur mehrere Landwirte mit mehreren Traktoren genau das Gleiche auf dem Feld, was in einem kleineren Betrieb ein Landwirt mit einem Traktor macht. Dabei gilt wie in allen anderen Bereichen auch, dass moderne Technik in der Regel umweltschonender ist als ältere. Landtechnik wird von den Herstellern, genauso wie Autos, ständig weiterentwickelt und umweltschonender sowie verbrauchsärmer gemacht. Ein zwanzig Jahre alter Trecker hat also nichts mit Naturnähe zu tun.

Sind Produkte aus großen Betrieben nicht ungesund?
Aber nein! Wenn Sie den Einsatz von Pflanzenschutz- und Düngemitteln meinen, dann hat das absolut nichts mit der Größe des Betriebes zu tun. Ihr Einsatz unterliegt strengen gesetzlichen Regelungen und wird von den Behörden ständig überwacht. Diese Gesetze gelten für kleine und große Betriebe gleichermaßen. So wie ein Arzt kranke Menschen mit chemischen Arzneimitteln behandelt, so schützen auch wir Landwirte unsere Kulturpflanzen vor Schädlingen und Pilzkrankheiten durch den Einsatz von Pflanzenschutzmitteln. Ich weiß, dass Pflanzenschutzmittel einen sehr schlechten Ruf haben, aber glauben Sie mir: Wer einmal einen durch Pilzkrankheiten verseuchten Getreidebestand gesehen hat, der möchte dieses Korn garantiert nicht mehr essen. Im Übrigen können Pflanzenschutzmittel verhindern, dass hochgiftige und krebserregende Pilzgifte, sogenannte Mykotoxine, in unsere Nahrungsmittel gelangen. Denken sie nur an den jüngsten Skandal mit den Giften von Schimmelpilzen im Mais.

Zu den Tieren: Fühlen die sich wohl auf einem großen Bauernhof?
Der Wohlfühlfaktor für die Tiere und die Haltungsbedingungen haben doch nichts mit der Größe eines Betriebes zu tun. Stellen Sie sich einfach mal vor, in einem Ort gibt es vier Landwirte, die alle ein paar Schweine halten. Jetzt geben drei davon ihren Betrieb auf und verkaufen ihre Ställe an den übrig gebliebenen Bauern. Dieser wird jetzt mit seiner Unterschrift unter den Kaufvertrag plötzlich zum Massentierhalter, wo sich die Schweine dadurch angeblich nicht mehr wohlfühlen. Aus dem „guten“ Bauern ist über Nacht ein „böser“ Landwirt geworden, obwohl sich für die Schweine überhaupt nichts verändert hat. Die Ställe und die Tiere haben lediglich den Besitzer gewechselt, was aber doch nicht heißt, dass die Tiere deswegen weniger Platz in den einzelnen Boxen haben. Wenn Sie sich in einem Mehrfamilienhaus Ihre Wohnung nett einrichten, stört es Sie doch auch nicht, dass noch andere Familien ringsum wohnen.

Vielen Dank für das Gespräch.
Ich habe zu danken.

Interview: Michi Jo Standl

Vita:
Jürgen Paffen wurde 1961 in Köln geboren, studierte nach Abitur und Grundwehrdienst und landwirtschaftlichem Praktikum Landbau an der Fachhochschule Bingen. Von 1991 bis 2007 arbeitete er als Beratungstechniker bei BASF an verschiedenen Standorten. Seit 2008 ist Paffen Vorstand der Agrargenossenschaft Weißensee, wo 55 Landwirte gemeinsam Ackerbau betreiben.

2 Gedanken zu „Interview: „Ein zwanzig Jahre alter Trecker hat nichts mit Naturnähe zu tun“

  • Jeder neue Stall ist ein Gewinn für das Tierwohl, denn er ist heller bequemer und tiergerechter gebaut wie ein alter Stall. Die Grösse des Stalles spielt hier keine Rolle, denn die Grösse sagt nur etwas über die Fähigkeiten des Betriebsleiters aus die er besitzen muss und ist oft standortbedingt. Massentierhaltung gibt es nicht denn man könnte einen Stall auch mit ner Schule vergleichen. Ab wann ist eine Schule dann eine Massenanstalt. Auch hier ist Management und Wohlfühlcharakter im Schulbereich gefragt und auch hier sind neue Schulbauten ein Gewinn für die Schüler

    Antwort
  • Hallo, die Logik ist verblüffend und einfach!

    Doch woher kommt unser verträumtes, nostalgisches Bild über die Landwirtschaft? Bei der Herstellung von Autos hat die Kamera schon zig mal auf die Robotertechnik und die hochqualifizierten Fachleute „draufgehalten“ Und im Landwirtschaftsbetrieb? „Heidi – Kulisse“ anstelle objektiver Berichterstattung. Prima, dass sich die Initiative des alle betreffenden Themas annimmt.

    Antwort

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