Glyphosat: Was wird eigentlich wirklich gesucht?

Die Abstimmung über die Zulassungsverlängerung von Glyphosat wurde vertagt. Aber wonach wollen einzelne Mitgliedsstaaten noch suchen? Ein Ping-Pong zwischen gescheiterten Kampagnen und unabhängiger Wissenschaft.

Das Hin und Her um die Zulassungsverlängerung von Glyphosat scheint kein Ende zu nehmen. Die für vergangenen Dienstag anberaumte Entscheidung im Rahmen der Sitzung des EU-Ausschusses für die Lebensmittelkette und Tiergesundheit (SCoPAFF) wurde verschoben. Einzelne Staaten sind sich offenbar nicht einig, was sie von dem für Landwirte wichtigen Unkrautvernichtungsmittel halten sollen und wollen weitere Untersuchungen anstellen.

Alle hoffen – die einen auf eine Verlängerung, die anderen auf ein Verbot. Diskutiert wird vor allem auf politischer Ebene, doch eines ist klar: Auf Parteiebene, egal welcher Couleur, kann die Wirkung auf die Gesundheit nicht eingeschätzt werden. Dazu gibt es unabhängige Wissenschaftler, wie die des Bundesinstitutes für Risikobewertung (BfR), die Risiken für die Bevölkerung einschätzen. Und das BfR hat festgestellt, dass Glyphosat nicht gesundheitsgefährdend ist. Dessen ist sich auch Bundeslandwirtschaftsminister Christian Schmidt (CSU) im Klaren: Als Politiker könne er nicht das Urteil der Wissenschaft überstimmen. Die „Zeit“ unterstellt dem Minister in einem Kommentar, dass er es sich zu einfach mache.

Grüne gestehen Kampagnentaktik ein
Die Vertagung sei ein erster großer Erfolg gegen das gesundheitsschädliche Herbizid, freut sich der agrarpolitische Sprecher der Grünen im Europäischen Parlament, Martin Häusling. Erst eine intensive Kampagne der Zivilgesellschaft und der Grünen habe dazu geführt, dass zumindest einige Regierungen, darunter auch die deutsche, die Verlängerung nicht einfach abgenickt haben, so Häusling.

Ich will, ich will, ich will
Stimmt, es geht um Kampagnen. Und etwas fadenscheinige Untersuchungen, wie der Test von nur 16 Muttermilchproben auf Glyphosat. Nachdem man die „frohe Kunde“, dass Glyphosatrückstände gefunden worden seien, der Presse mitgeteilt hat und ein Aufschrei durchs Land ging, hat das unabhängige BfR eigene Tests durchgeführt. Und? „Kein Glyphosat in Muttermilch“. Daraufhin lenkten die Grünen in einer Pressemitteilung ein: „Inzwischen hat das Bundesamt für Risikobewertung (BfR) auf unsere Stichprobenuntersuchung reagiert und eigene Tests durchgeführt, bei denen keine Glyphosatrückstände in Muttermilch gefunden wurden.“ Es bestehe also kein Anlass, auf das Stillen zu verzichten, beruhigten die Grünen etwas kleinlaut. Ja, das Bundesinstitut für Risikobewertung wieder.

Wo nichts ist, ist nichts. Auch die vom „Umweltinstitut München“, das auch als Unterstützer diverser Aktionen der Grünen in Erscheinung tritt, festgestellten Glyphosatmengen in Bier sind geradezu nichtig. Den Biergenuss als unbedenklich für Konsumenten hat daraufhin auch das BfR gewertet. Nach der erneuten Schocknachricht der Grünen ging wieder ein Aufatmen durch die Bundesrepublik. Sind die unabhängigen Wissenschaftler etwa der Bevölkerung gegenüber verantwortungslos? Wohl eher nicht.

Arbeitsgemeinschaft Glyphosat versteht Vertagung
Die Arbeitsgemeinschaft Glyphosat (AGG) sieht der endgültigen Entscheidung entspannt entgegen. „Wenn einzelne Mitgliedstaaten Bedarf für weitere Konsultationen gesehen haben, war es eine nachvollziehbare Entscheidung der Kommission, dafür angemessene Zeit zu gewähren.“, so AGG-Sprecherin Ursula Lüttmer-Ouazane. Denn es sei wichtig, dass die Entscheidung nicht aus kurzfristigen politischen Erwägungen, sondern vielmehr auf der Basis robuster wissenschaftlicher Bewertung erfolge. Nach Einschätzung der AGG soll der Prozess auf EU-Ebene in den kommenden Wochen fortgesetzt werden. Eine Abstimmung der Mitgliedsstaaten erwartet man in angemessener Zeit.

Man müsste die Welt abschalten
Natürlich können in Lebensmittel Glyphosat-Rückstände festgestellt werden. Aber in Mengen, die man aushalten kann. Das ist die Zeit. Eine Zeit, in der die explodierende Bevölkerung ernährt werden muss. Doch wenn man zu suchen beginnt, wird man nicht nur auf Glyphosat stoßen. Wie steht es etwa um die Gesundheit von Menschen, die in Städten oder an viel befahrenen Straßen ständig Feinstaub ausgesetzt sind? Folgt eine Kampagne für die urbane Aussiedlung? In der Situation, in der sich die Welt befindet, ist vernünftiges Miteinander wichtiger als die Rechtfertigungskampagnen von Parteien und NGOs. „Einfach abschalten“ kann man den Fernseher, wie es der vor kurzem verstorbene Moderator Peter Lustig stets am Ende seiner Kindersendung „Löwenzahn“ empfahl, die Welt aber nicht. Diese bleibt nur durch Zusammenhalt und ohne politische Kampagnen lebenswert – übrigens in allen Bereichen.

Michi Jo Standl

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