Bio in der Vertrauenskrise?
Die Naturkost-Branche befürchtet die “Entzauberung” von Bio durch verstärkte Präsenz im Lebensmitteleinzelhandel.
Verbraucher verbinden mit ökologisch produzierten Lebensmitteln kleine Betriebe, handgepflücktes Obst und Gemüse und wenige Tiere auf der Weide. Zur Naturkostmesse Biofach, die am Mittwoch begonnen hat, ist eine Debatte über die romantisierte Vorstellung von ökologischer Landwirtschaft aufgeflammt: Führt die Überschwemmung der Verbraucher mit Bio-Produkten zu einer “Entzauberung”? Als Grund sehen Branchen-Experten die steigende Präsenz von Bioprodukten in Supermärkten und Discountern. Sie befürchten, dass diese Zunahme schwer absehbare Folgen für Naturkostgeschäfte haben könnte.
Verbraucher nicht ausreichend informiert?
Der Agraringenieur und freiberufliche Berater Stephan Illi fordert deshalb Verbraucherinformation zur Regionalität. „Bio ist eine gute Grundlage”, sagte der ehemalige Demeter-Vorstand zur Deutschen Presseagentur dpa. “Es schafft bei Lebensmitteln Sicherheit durch hohe Standards. Und es steht ein strenges Kontrollsystem dahinter“, so Illi. Er kritisiert aber, dass auf dem entsprechenden Siegel nicht ersichtlich sei, ob die Produkte aus der eigenen Region oder etwa aus China stammen. Für die Verbraucher sei auch nicht ersichtlich, ob die Produkte zu fairen Bedingungen produziert würden und ob der Erzeuger für landwirtschaftliche Vielfalt statt für Einfalt stehe. Ökologische Landwirtschaft hält er als viel besser als die konventionelle Landwirtschaft. Aber es sei nicht die heile Welt, so Illi.
Naturkosthändler verunsichert
Selbst bei Vertretern des Naturkosthandels wirke es daher gelegentlich desillusionierend, wenn er bei Fachhandelstreffen über die Situation auf den Bio-Höfen berichte, erzählte Illi der dpa. “Bisher bekommt der Kunde nach meiner Einschätzung die Entwicklungen, denen auch der Ökolandbau infolge des Preisdrucks unterliegt, durch die verbreiteten Heile-Welt-Bilder kaum mit.”, so der Bio-Berater. So gingen viele Verbraucher davon aus, dass Bio-Kühe 150 Tage im Jahr auf der Weide stünden. Tatsächlich aber haben nach Illis Schätzung bis zu 50 Prozent des Bio-Milchviehs gar keinen Weidegang. “Immerhin bekommen sie Grünfutter statt Silage in den Trögen und haben Auslauf auf befestigtem Boden im Freien.”, so Illi.
Großer Druck auf Biolandwirten
Experten sind sich auch sicher, dass durch den anhaltenden Öko-Boom der Druck auf Biolandwirte immer größer wird. Die dpa zitierte den Fachjournalisten Leo Frühschütz: „Wenn ich bei einem Discounter ein billiges Bio-Brötchen kaufen kann, dann müssen auch die Rohstoffe günstig gewesen sein.” Und die bekomme man nur, wenn man keinen Wert darauf lege, die Herkunft der Bio-Rohstoffe exakt zurückverfolgen zu können, so Frühschütz.