Agrarpolitik greift endlich in Gesellschaftsdebatte ein
SH-Landwirtschaftsminister Habeck sieht ein Ende der Debatte in mehr Regionalität, Bauernpräsident Rukwied forciert mehr fachliche Verbraucherinformation.
Lange haben Agrarpolitiker zu den gesellschaftlichen Debatten rund um die Landwirtschaft geschwiegen. Medien und Verbraucher sehen Deutschlands Landwirte gerne als Freiwild. Die Bauern fühlen sich in der Kommunikation nach außen nicht genug unterstützt und oft alleine gelassen. Diese Woche haben gleich zwei Politiker das Wort ergriffen und Klartext gesprochen, allerdings mit unterschiedlichen Ansätzen.
Am Wochenende hat es der Schleswig-Holsteinische Landwirtschaftsminister Robert Habeck (Bündnis 90/Die Grünen) in seiner Antwort auf eine sogenannte Große Anfrage der Landesregierung Schleswig-Holstein zur „Ernährungswirtschaft in Schleswig-Holstein“ auf seinen Punkt gebracht. Nicht nur, dass die Land- und Ernährungswirtschaft die Bevölkerung mit Nahrungsmitteln versorge und einen wichtigen Beitrag zur Wirtschaftsleistung leiste, die Landwirte formten auch das Bild, das man von Schleswig-Holstein habe, so Habeck. „Land- und Ernährungswirtschaft prägen die Identität dieses Landes.”, klärt der Minister in seiner Rede auf. Darüber hinaus sei die Branche ein wichtiger Wirtschaftszweig. „Mehr als 22.000 Menschen sind in der Ernährungswirtschaft beschäftigt und die Landwirtschaft gibt 45.000 Menschen Arbeit.“, rechnet der Grünen-Politiker auf das norddeutsche Bundesland bezogen vor. Rein rechnerisch betrachtet ernähre jeder Landwirt 142 Menschen.
Habeck: „Verbraucher haben nichts gegen Landwirte“
Der Knackpunkt in der Debatte sei laut Habeck nicht in der Landwirtschaft selbst zu suchen. Studien würden zwar belegen, dass die Verbraucher früher mehr Geld für Lebensmittel ausgegeben haben, der Politiker sieht das Problem aber in den Strategien der Supermarkt- und Discounterketten. Der durchschnittliche Haushalt habe Anfang der 1970er Jahre noch 19 Prozent seines ausgabefähigen Einkommens für Nahrungsmittel ausgegeben, heute seien es 11,7 Prozent, so der Minister. Deutschland gehöre somit zu den fünf Nationen, in denen am wenigsten Haushaltsgeld für Lebensmittel aufgewendet werde. Deshalb sollten sich, so der Vorschlag Habecks, Landwirte auf den regionalen Markt konzentrieren. Das sei das, was die Verbraucher wollen. Er sieht die Forderung nach Gewässerschutz, Tierwohl und Klimaschutz nicht gegen die Landwirtschaft gerichtet, sondern mehr als Wunsch der Konsumenten, einen neuen, wirklich regionalen Markt aufzubauen.
Wenn man den Politiker richtig interpretiert, protestieren also die Verbraucher nicht gegen die Landwirte, sondern gegen die Preispolitik des Handels, die Lebensmittel unter diversen Regional- und Biomarken verkaufen. Wenn die Menschen sicher wüssten, wo die Lebensmittel herkommen, würden sie dafür auch wieder mehr bezahlen. Denn 92 Prozent der Verbraucher würden für Nahrungsmittel aus der Region – ob konventionell oder ökologisch – bis zu 15 Prozent Preisaufschlag zahlen, zitiert Habeck eine Umfrage.
Rukwied: „Gesellschaftliche Debatte braucht klare Standpunkte“
Der Präsident des Deutschen Bauernverbandes (DBV), Joachim Rukwied, hingegen sieht die Probleme etwas abgeklärter. „Die deutschen Bauern sind für jede Diskussion mit Verbrauchern, Öffentlichkeit und Nichtregierungsorganisationen offen“, so Rukwied auf der Jahreshauptversammlung des Kreisbauernverbandes Unterallgäu. „Eine wirklich offene und transparente gesellschaftliche Debatte über Landwirtschaft und Ernährung erfordere aber klare Standpunkte, so der Bauernpräsident weiter. Rukwied sieht die Verbraucher zu wenig über die moderne Landwirtschaft informiert. „In Teilen der Politik und bei vielen Akteuren der so genannten gesellschaftlichen Debatte über die moderne Landwirtschaft sind mehr fachliche Expertise und ökonomischer Realismus dringend gefragt“, weiß der Präsident.
Diese Debatte werde zu keinem Ergebnis führen, wenn fachlich unsinnigen Positionen nachgegeben werde. Als Beispiel nannte Rukwied die Frage der nicht-kurativen Eingriffe bei Nutztieren. Eine Minimierung solcher Eingriffe liege auch im Interesse der Tierhalter. Allerdings erfordere das eine sorgfältige Abwägung bei allen Lösungsansätzen, insbesondere müsse dabei das Tierwohl im Vordergrund stehen.
Jetzt müssen die agrarpolitschen Statements nur noch Publikumsmedien und Verbraucher erreichen.
Michi Jo Standl